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Die Sicherheit der Wasserstoffmobilität gewährleisten

von Benoit Magneville

Batterie oder Wasserstoff-Brennstoffzelle?

Die Elektromobilität ist keine Modeerscheinung. Sie ist eine Tatsache. Die meisten Erstausrüster planen schon den Ausstieg aus ihren Verbrennerflotten. Doch Elektrifizierung wird meist mit Li-Ionen-Akkus und deren zahlreichen Herausforderungen assoziiert. Seltene Materialien, Reichweitenangst, fehlende Ladestationen, Batteriesicherheit, schlechte Recyclingmöglichkeiten sind einige davon. Obwohl intensiv an der Lösung dieser Probleme geforscht wird, rückt eine Alternative in den Fokus: Fahrzeuge mit Wasserstoff-Brennstoffzellen. In diesem Artikel erläutern wir, wie Simulation Erstausrüstern und Zulieferern hilft, Verbundstoff-Druckbehälter für die Wasserstoffspeicherung virtuell zu konstruieren undzuzulassen.

Wasserstoff: das Energiewunder für die Mobilität der Zukunft?

Wasserstoff ist eines der häufigsten Atome auf der Erde und eine unbegrenzte Ressource. Wasserstofffahrzeuge haben oft eine größere Reichweite als Batterie-Elektroautos. Eine Brennstoffzelle emittiert nur Wasserdampf, und ein Wasserstofftank lässt sich binnen Minuten auffüllen. Daher sehen wir Brennstoffzellen zunehmend als ernsthafte Alternative zu Batterien.

In der Automobilbranche waren Toyota Mirai und Hyundai Nexo Wegbereiter. BMW steht kurz vor der Einführung seines iHydrogen NEXT, während Daimler Truck AG und Volvo 2021 ein Joint Venture gründeten, „um den Einsatz von Wasserstoff-Brennstoffzellen voranzutreiben“. Immer mehr Mobilitäts-Startups setzen auf Wasserstoff. In der Luft- und Raumfahrtbranche startete Airbus 2020 das ZEROe-Programm zur Entwicklung wasserstoffbetriebener Verkehrsflugzeuge bis 2035. Branchenführer der Bahnindustrie wie Siemens entwickeln ebenfalls Wasserstoffzüge.

Dieser Trend bewog zahlreiche Regierungen, Forschung zur Wasserstoffmobilität zu fördern. Ein aktuelles Beispiel ist Frankreich, das 2020 ankündigte, 7 Milliarden Euro zu investieren, um bis 2030 eine Vorreiterrolle im Bereich grünen Wasserstoffs e1inzunehmen.

Sieht vielversprechend aus … Warum also wurden bis Ende 2020 seit Markteinführung nur „27.500 Wasserstoff-Brennstoffzellen-Fahrzeuge verkauft""?

Anstehende technische Herausforderungen …

Leider noch kein Durchbruch. Für jede Kilowattstunde wird viel Wasserstoff benötigt, was zwei technische Hürden aufwirft und die Wasserstoffexpansion bremst.

Das erfordert hohe Investitionen in Tankstellen, zudem sind Wasserstoffautos noch sehr teuer. Aus diesen Gründen steckt die Wasserstoff-Brennstoffzelle als Antriebstechnologie für E-Mobilität noch in den Kinderschuhen. Doch diese Hürden lassen sich bewältigen.

Speicherung großer Wasserstoffmengen in Fahrzeugen

Kompakte Tanktechnologie, unter allen Umständen sicher

Widmen wir uns hier der zweiten oben genannten Konstrukteursaufgabe: der sicheren Lagerung großer Wasserstoffmengen auf engem Raum in einem beweglichen Fahrzeug. Die Spitzentechnologie zur Bewältigung dieser Herausforderung sind auf 700 bar komprimierte Wasserstofftanks! Echte versteckte Zeitbomben …

700-bar-Druckbehälter zur Wasserstoffspeicherung
Eingebettete 700-bar-Druckbehälter in Gelb erkennbar [Quelle]

Ein einziger Unfall wäre für Passagiere und Umstehende vermutlich tödlich. Und es würde zweifellos das Image von Wasserstoff als Zukunftstechnologie für Mobilität zunichtemachen. Ein solcher Unfall ereignete sich 2019 nicht in einem Fahrzeug, sondern an einer Ladestation, wobei zwei Menschen starben und alles in der Umgebung zerstört wurde. Wenn wir bedenken, was ein Fahrzeug im Vergleich zu einer stationären Ladestation während seiner Lebensdauer aushalten muss (Unfälle, Fehlbedienung, unzählige Lade- und Entladezyklen, extreme Temperaturen, Trockenheit, Feuchtigkeit …), stellt die Sicherheit zweifellos eine Konstruktionsherausforderung für diese Tanks dar.

Die aktuell entwickelten 700-bar-Tanks bestehen aus einer Polymerauskleidung zur Abdichtung, umgeben von einer dicken Schicht hochfester Endlos-Kohlefaserverbundwerkstoffe, die eine außerordentliche mechanische Belastbarkeit gewährleisten, sowie einem metallischen Anschlussstutzen mit Ventil zum Verschließen und zur Fahrzeugintegration. Wir bezeichnen diese Technologie als „Typ IV“, also Druckbehälter der 4. Generation bzw. „Composite-Druckbehälter“.

Composite-Druckbehälter zur Wasserstoffspeicherung
Composite Pressure Vessel technology [Quelle]

Wie lange dauert und was kostet die Zertifizierung eines Composite-Druckbehälters?

Die unbedingte Sicherheitsgewährleistung bei Wasserstofffahrzeugen bedingt äußerst hohe, durch internationale Normen festgelegte Sicherheitsreserven. Standard Nr. 13 der Globalen Technical Regulations, eine der wichtigsten globalen Referenzen, schreibt beispielsweise eine Sicherheitsmarge von 225 % für den Berstvorgang bei Umgebungstemperatur vor, was bedeutet, dass ein 700-bar-Tank niemals unter 1575 bar explodieren sollte. Die Variabilität veranlasst Hersteller, einen eigenen Sicherheitspuffer von bis zu 1700 oder 1800 bar einzuplanen. Das sichert den Erfolg der Zertifizierungstests und ermöglicht, die Tankintegrität durch zahlreiche aufwendige physische Prüfungen zu verifizieren.

Bersten bei Raumtemperatur, Temperaturwechselprüfungen, Oberflächenschäden, chemische Beständigkeit, Fallprüfungen aus verschiedenen Winkeln und Höhen, Kriechverhalten, Beschuss und Brandprüfungen sind nur einige der von Sicherheitsnormen vorgeschriebenen Tests. Viele Panzerhersteller führen solche Tests iterativ und hausintern durch, in der Annahme (oder Hoffnung), die übrigen Tests würden schon passen. In einem hart umkämpften, expandierenden Markt ist dies nicht mehr hinnehmbar. Da setzt die Digitalisierung an.

Virtuelle Konstruktion und Zertifizierung eines Composite-Druckbehälters

Die Komplexität der Schiffstechnik und die vielfältigen Zertifizierungstests erfordern neue Methoden, die wir in CAE-Lösungen integrieren können, um höchste Präzision des digitalen Zwillings zu gewährleisten. Simcenter-Lösungen vereinen Prozesse und Technologien, um die optimale Konstruktion zu ermitteln – möglichst kompakt, leicht und kostengünstig, fähig, die vorgesehene Wasserstoffmenge vorschriftsgemäß zu fassen und eine virtuelle Zertifizierung des gefertigten Designs vor dem Prototyping zu ermöglichen.

Skalierbarkeit der CAE-Verfahren

Diese innovativen CAE-Verfahren zählen nicht zu den sogenannten „Standard-CAE“-Methoden. Sie müssen diverse physikalische Aspekte berücksichtigen und sind in der Branche oft noch nicht vollständig ausgereift. Die Anzahl der CAE-Analysten für Tankzertifizierungen ist generell begrenzt, und Unternehmen verfügen nicht über Expertise in allen Domänen. Die Simcenter-Lösungen reichen von einfachen, automatisierten Verfahren für Laien zur schnelleren Erstellung frühzeitiger Konzepte bis hin zu fortgeschrittenen High-End-Methoden, die in Forschungsprojekten mit Industriekunden zur Modellierung komplexer Systeme entwickelt und bewertet wurden.

Frühe Konstruktion des Wasserstofftanks mit Simulation: Bewerten Sie Tausende von Konstruktionen binnen weniger Stunden

Bei Simcenter beginnt ein Panzerkonstrukteur typischerweise mit einer sehr breit angelegten Untersuchung des Konstruktionsbereichs, die zu einem oder mehreren vorläufigen Entwürfen führt. Anstelle der üblicherweise verwendeten approximativen analytischen Methoden integrieren wir automatisierte FEM-Workflows in ein Simcenter Heeds-Problem. Ein Laie kann binnen weniger Stunden die Leistung Tausender Konstruktionen (mit verschiedenen Liner- und Nabengeometrien, Werkstoffen, Verbundaufbauten, Strategien im Faserwickelverfahren …) anhand von Zertifizierungs- und Konstruktionsvorgaben bewerten. Dann können die vielversprechendsten Kandidaten für die Adoption bestimmt werden. In dieser Phase bleiben die Simulationen linear oder beinhalten einfache geometrische Nichtlinearitäten. Dabei können vereinfachte, effiziente Modelle mit grundlegenden Materialgesetzen für alle Komponenten eingesetzt werden. Die Faserplatzierung erfolgt automatisiert durch ein integriertes 3.-Anbieter-Tool, wie später erläutert. Dies bietet eine deutlich höhere Genauigkeit als analytische Methoden bei gleichzeitig sehr guter Effizienz.

Simulation zur Wasserstoffmobilität – Zertifizierungsverfahren
Automatisierter Simcenter-Workflow für schnelle und zuverlässige Frühphasen-Konstruktion von Druckbehältern

Das Team von Simcenter Engineering (ehemals LMS Samtech) arbeitete am Forschungsprojekt OSIRHYS IV. Das Projekt zielte auf die Entwicklung und Validierung dieser Methoden ab, die eine Verringerung der Masse um 30 % im Vergleich zu den mit analytischen Methoden konstruierten Schiffen ermöglichten, ohne dabei Kompromisse beim Leistungsvermögen und der Kapazität einzugehen.

Die Bedeutung der Simulation des durchgängigen Fertigungsprozesses von Verbundstoff-Druckbehältern für eine präzise virtuelle Zertifizierung

Der Fertigungsprozess eines Verbundstoff-Druckbehälters beeinflusst maßgeblich seine Endleistung sowie deren Schwankungsbreite. Vernachlässigte Tanks können sogar schon vor dem Ersteinsatz ausfallen. Simcenter-Lösungen simulieren den gesamten Fertigungsprozess präzise, um die Leistung des gefertigten Behälters a posteriori zu bewerten.

Vom Rotationsformen …

Der erste Schritt ist die Fertigung des Polymer-Liners mittels Rotationsformverfahren. Die finale Geometrie und mechanischen Eigenschaften des Liners werden maßgeblich durch diesen Prozess bestimmt. Eine zu dünne oder fehlkonstruierte Auskleidung bricht und verursacht Lecks im Tank. Während ein zu großer Einsatz das Tankvolumen reduzieren und dessen Gewicht erhöhen würde. Wir simulieren den Rotationsformprozess mit Simcenter STAR-CCM+. Dazu zählt die Temperatursteuerung zur Erreichung der vorgesehenen Linergeometrie und -eigenschaften.

… zum Faserwickelverfahren ...

Die Carbonfasern werden anschließend mittels Filamentwickeln in einer festgelegten Abfolge von Ausrichtungen um den Liner gewickelt. Bei diesem Verfahren wickeln große Maschinen die Fasern um den Liner. Zahlreiche prozesssteuerungsrelevante Variablen müssen berücksichtigt werden und beeinflussen maßgeblich die lokale Ausrichtung und Dicke der Verbundschale [Abbildung 6], was sich wiederum auf die Gesamtleistung des Tanks auswirkt. Simcenter 3D ermöglicht die Einbindung spezialisierter Drittanbieter-Lösungen zur präzisen Simulation des Faserwickelverfahrens. Alle erforderlichen Fertigungsparameter sind anschließend über eine dedizierte Benutzeroberfläche abrufbar.

Simulation des Faserwickelverfahrens
Die Simulation des Faserwickelverfahrens zur Anwendung der richtigen Ausrichtung und Dicke der Verbundfasern [Referenz]

… und Härtung

Der Tank wird dann ausgehärtet, wodurch die Verbundschale polymerisiert, aber möglicherweise die Leistung der Auskleidung beeinträchtigt und Eigenspannungen in der Baugruppe erzeugt werden. Während der Aushärtung reagieren die verschiedenen Tankmaterialien höchst unterschiedlich auf Temperaturschwankungen. Simcenter 3D integriert thermische und mechanische Solver und Verfahren, die den Materialverlauf während der Aushärtung berücksichtigen, prozessbedingte Verformungen ermitteln und die Auswirkungen von Eigenspannungen auf die Produktperformance bewerten.

Simulationsprozess für die Aushärtung von Druckbehältern
Simulationsprozess für die Aushärtung von Druckbehältern

Virtuelle Zertifizierung von Composite-Druckbehältern: Modellieren Sie die Komplexität mit hoher Präzision

Sie können mit Simcenter 3D, der Simcenter Mechanical-Plattform, die gesamte Komplexität der Zertifizierungstests abbilden.

Schadensmodelle für Verbundwerkstoffe sind direkt in Simcenter 3D integriert. Dies ermöglicht die Prognose lokaler Phänomene wie Delamination oder Steifigkeitsabnahme, die beim Be- und Entdrucken auftreten. Dazu zählen innovative statische und Ermüdungsverfahren für Verbundwerkstoffe, die in Industrieprojekten entwickelt und validiert wurden und auf Composite-Druckbehälter anwendbar sind.

Thermomechanische Modelle ermöglichen die Bewertung von Temperatureinflüssen in Verbindung mit diversen mechanischen Lastfällen. Transiente dynamische Lösungsverfahren berechnen die Festigkeit des Tanks bei standardisierten Falltests. Der Feuerwiderstand wurde zudem im Forschungsprojekt FireComp erforscht. Schließlich integriert Simcenter Multiskalensimulation, um mikroskopisches Materialverhalten in makroskopischen Simulationen zu berücksichtigen. Dies ermöglicht maximale Modellgenauigkeit.

Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Der Vorteil einer integrierten Plattform liegt darin, dass sämtliche Lastfälle auf einer einzigen Plattform berechnet werden können. Ein einzelner Anwender kann auf sämtliche KPI innerhalb derselben Umgebung zugreifen.

Virtuelle Zertifizierung des gefertigten Composite-Druckbehälters [Referenz]

Zukunftswege der Wasserstoffmobilität

Während die meisten Analysten prognostizieren, dass Batterie-Elektrofahrzeuge bei kleinen Privatwagen führend bleiben, erwarten wir eine zunehmende  Umsetzung der Wasserstofflösung bei größeren Fahrzeugen wie Bussen, Lkws, Zügen, Schiffen oder Gabelstaplern. Der Grund ist der verfügbare Raum für Druckbehälter und dass die benötigten Li-Ionen-Akkus zu schwer wären.

Unternehmen, die Composite-Druckbehälter für die Wasserstoffspeicherung produzieren, müssen sich auf diese Expansion einstellen. Der Wettbewerb wird erbittert sein. Erfolgreiche Unternehmen sind Vorreiter, keine Nachahmer. Mit Simcenter schaffen sie absolutes Vertrauen in den digitalen Zwilling ihrer Druckbehälter. Das Simcenter-Team steckt erhebliche Ressourcen in die Forschung. Wir arbeiten mit Industriekunden wie Honda R&D Co., Ltd. zusammen, um die Unsicherheit der Vorhersagen zu minimieren und einen echten digitalen Zwilling zu schaffen. Diese Kooperationen tragen dazu bei, physische Tests vor der Zertifizierung zu reduzieren und künftig durch zuverlässige, kostengünstige Echtzeit-Simulationen und -Optimierungen in einer integrierten Plattform zu ersetzen.

Selbstverständlich hängt die Sicherheit auch davon ab, wie und wo der Behälter im Fahrzeug eingebaut ist. Er muss vor typischen Unfallszenarien geschützt sein, ohne Fahrzeuggewicht, NVH oder Fahrverhalten zu beeinträchtigen. Simcenter bietet einen integrierten und präzisen digitalen Zwilling für Elektrofahrzeuge, der die Herausforderungen aller Fahrzeugdomänen adressiert. Doch das ist ein anderes Thema!

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